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Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Almut Heer und Winni Schaak" in der Galerie im Gürtlerhof in Husum, den 22.9.1996 von Dr. Uwe HaupenthalMeine Damen und Herren, das Thema des Menschenbildes ist zweifelsohne das kunsthistorische Generalthema in der Plastik überhaupt.
Jede Zeit, jede Generation findet ein anderes, neues Verhältnis zur Figur rsp. zur Darstellung des menschlichen Kopfes. Sah es in den 70ger Jahren unter dem Vorzeichen der Minimal Art vorübergehend so aus, als sei dieses Thema ein für allemal erledigt, trumpfte um 1980 die junge Generation auf und stillte den allseits vorhandenen mittlerweile sprichwörtlich gewordenen "Hunger nach Bildern".
Man ging ein Thema an, das fast einem Tabu gleich kam.
Die von Werner Haftmann und anderen propagierten "Weltkunstsprache" wurde abgelöst von subjektiv begründeten künstlerischen Äußerungen.
In einer Zeit, als fast alles stilistisch schon einmal da war, uns mithin nichts wirklich mehr fremd ist, griffen die jungen Künstler bewußt auf vorhandene Traditionen zurück, entdeckten sie für sich neu, ohne dabei den Anspruch von Allgemeingültigkeit für sich zu übernehmen.
Oder anders formuliert: Man verzichtete von vorn herein auf das entscheidende Moment der klassischen Moderne - auf Utopie bzw. auf deren Einlösung in der gesellschaftlichen Realität.
Um es an dieser Stelle gleich vorwegzunehmen: Der Rückgriff etwa auf den Expressionismus bedeutete kein einfaches und plumpes Wiederaufkochen alter, mittlerweise populärer Sichtweisen. Ein konzeptueller Grundzug bestimmte vielfach die seit den frühen 80ger Jahren entstandenen Arbeiten der zwischen 1945 und etwa 1960 geborenen Künstler.
Almut Heer gehört zu dieser Gruppe von Künstlern. 1956 geboren studierte sie zwischen 1976 und 1980 in Hamburg bei Kai Sudeck und Ulrich Rückriem und setzte ihr Studium in Berlin bei Lothar Fischer fort. Von letzterem hat sie die Technik der gebrannten Tonfiguration übernommen.
Almut Heers Lehrer verkörpern in ihrem Schaffen in dem eben geschilderten Zusammenhang die zentrale Gelenkstelle. Ihr Werk weist bei aller Unterschiedlichkeit deutlich konzeptuelle Züge auf. Das Arbeiten mit und aus dem Material stand dabei im Vordergrund. Es ist dies eine Haltung, die auch Almut Heers Arbeiten bestimmt. Der Anfang diesen Jahres entstandene und hier erstmals ausgestellte Fries von weiblichen Aktfiguren ist, nachdem die Künstlerin eine ungefähre figurale Anlage in Form einer Bosse geschaffen hatte, unmittelbar aus dem Gips in der Technik der taille directe, mit dem Messer und anderen Werkzeugen herausgeschnitten worden. Es entstand eine Reihe von Figuren, die sich auf den ersten Blick sehr ähnlich sind. Erst bei näherem Hinsehen erkennt man, daß alle individuell gestaltet sind. Wie Almut Heer versicherte, sind sie nicht vor dem Modell entstanden, sondern aus dem Kopf, sprich aus dem Gedächnis. Zwar erscheinen die Figuren recht realistisch, doch wurde auf das Herausarbeiten von individuellen Details weitgehend verzichtet. Die figurale Anlage ist eher summarisch. Das führt dazu, daß die einzelne Figur stärker in der vorgeführten Reihung aufgehoben ist. Ein anderes, vordergründig eher Konventionelles stand hingegen im Mittelpunkt ihres Interesses. Almut Heer beschäftigt sich in dieser Arbeit mit dem traditionellen Kontrapost, dem eigentlichen Synonym des klassischen Menschenbildes seit der griechischen Antike des fünften vorchristlichen Jahrhunderts.
Ein altes Thema aus zeitlicher Distanz neu gesehen ! Mit dem Kontrapost verbindet sich in Almut Heers Installation keineswegs der Rückgriff auf ein in sich ruhendes Menschenbild, das wie selbstverständlich auf einer kanonisierten Form beharrt. Im Gegenteil. Es geht hier vielmehr um die Auflösung tradierter Formen in einer Reihung ähnlicher Figuren. Die einzelne Figur erscheint eben nicht mehr abgeschlossen und in sich ruhend. Der Kontrapost erfährt eine neue Deutung: Er ist in dieser Arbeit das zentrale rhytmische Gliederungselement. Daraus ergibt sich eine räumliche Abhängigkeit, die beispielsweise den Figuren des 19. Jahrhunderts in dieser Form noch gänzlich fremd war. Und auch der Rückgriff auf die Skulptur der zwanziger Jahre, etwa die von Gerhard Marcks, führt an der Sache vorbei. Es geht nicht mehr um die Begründung bzw. Rechtfertigung eines individuellen Ethos. Almut Heers Installation zeichnet sich vielmehr durch eine konzeptuelle Transparenz und materialbezogene Leichtigkeit aus, die gänzlich neu ist. Was zählt ist nicht länger die einzelne gestaltete Figur, sondern ein übergeordneter, aus der Reihung hervorgegangener Kontext. - Realität wird nicht mehr nach ihren Wurzeln befragt, sondern in der Installation erst erzeugt. Die Aneignung von Figur geschieht nicht nach vorgegebenen Mustern ( obwohl sich Almut Heer paradoxer Weise grade eines Musters bedient ! ). Der Betrachter muß sie sich gleichsam erst neu erschließen, wobei er nicht wirklich auf existentiell gesicherte Daten zurückgreifen kann.